Wie Maria uns an der Hand nehmen will

■ Wenn wir den Herrgott im Gebet um etwas bitten, besitzen wir dabei in der Regel auch die eigentlich sogar natürliche Erwartung, dass wir dann möglichst bald persönlich unbedingt auch die Erfüllung unserer Bitten sehen und verstehen. Wir wollen ganz konkret Zeugen des wunderbaren Eingreifens Gottes sein, zumal ja Jesus selbst versprochen hat, dass das inständige und demütige Gebet Seiner Jünger erhört werde: „Bittet, und es wird euch gegeben; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und es wird euch aufgetan. Denn jeder, der bittet, empfängt; wer sucht, der findet; wer anklopft, dem wird aufgetan.“ (Mt 7,7f.)
Nun ist es aber so, dass Gott unsere Gebete nicht selten ganz anders erfüllt, als wir uns das vorstellen (können) und es erwarten. Wir, Menschen, sehen ja nur einen ganz kleinen Bereich der Realität, Er dagegen überblick alles! So weiß Er auch besser, was für uns gut ist und somit im jeweiligen Augenblick auch am dringendsten. Leitet uns ja Jesus daher ausdrücklich an, dieselbe Einstellung zu diesem Thema zu haben, wie Er sie beim Erleiden der Todesangst im Garten Getsemani selbst an den Tag gelegt hatte: „Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber. Doch nicht wie Ich will, sondern wie Du willst“. (Mt 26, 39.)
Anders kann Gott unsere Gebete auch im Hinblick auf die Zeit erhören. Daher kann es auch so sein, dass wir nicht sofort erkennen und verstehen müssen, wie und auf welche Weise Gott eingegriffen hat in unser Leben. Bisweilen wird dies dem Menschen erst viel später bewusst, mitunter erst nach mehreren Jahrzehnten und im Zusammenhang mit manchen anderen Ereignissen in seinem Leben.
■ Einige Bekannte, eine deutsche katholische Familie, lebten in einem Land des früheren Ostblocks. Sie hatten seit der 1970-er Jahre mehrere Male Papiere zur Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. Neun Mal kam die Absage seitens der kommunistischen Behörden. Ein Sohn dieser Familie spielte mit dem Gedanken, Priester zu werden. Da die konkreten äußeren Umstände enorm schwierig waren, in jenem Land überhaupt Priester zu werden, wollte der betreffende junge Mann gerade auch aus diesem Grund möglichst nach Deutschland kommen.
Von Verwandten, die in Deutschland lebten, hörte dann diese Familie, dass es in Deutschland in der Zwischenzeit nicht gut bestellt sei um den Glauben und die Kirche. Auch wegen fortgeschrittener modernistischer „Reformen“ nehme da auch die Gläubigkeit und Frömmigkeit vieler der offiziellen Katholiken und im Klerus stark ab.
Diese ganzen Faktoren trugen dann bei diesem jungen Mann dazu bei, dass er erstens praktisch eine jegliche Hoffnung verlor, dass es doch noch etwas werden könnte mit der Ausreise in das historische Heimatland seiner Familie. Das neunmalige „Nein“ der Behörden wirkte sich halt entsprechend aus. Parallel dazu entstand in ihm auch die Hoffnung, dass er vielleicht doch in jenem atheistischen Land und unter widrigen äußeren Umständen (Glaubensverfolgung) katholischer Priester werden könnte.
So wandte er sich eines Tages im Gebet ausdrücklich an die hl. Jungfrau Maria und sprach: „Liebe Muttergottes, ich finde mich damit ab, hier in diesem Land zu bleiben, und spreche ein ‚Ja‘ dazu. Hilf mir aber bitte nur, Priester zu werden, wenn dies der Wille Gottes sein sollte!“
Um dieselbe Zeit herum wurde er 18 Jahre alt und sollte in jenem kommunistischen Land den Militärdienst absolvieren. Eine bestimmte Erkrankung, an der er damals seit mehr als drei Jahren litt, gewährte ihm zunächst einen zeitlichen Aufschub von diesem Militärdienst. In der Zwischenzeit reichten seine Eltern zum zehnten Mal Dokumente zur Ausreise nach Deutschland ein. Und obwohl dieser junge Mann praktisch nicht im Geringsten mehr mit einer Bewilligung des betreffenden Ausreisewunsches seiner Familie rechnete, gewährten die kommunistischen Behörden nun aber plötzlich doch eine solche Genehmigung seiner Familie!
35 Jahre später reiste dann der damalige junge Mann, der entsprechend älter und in Deutschland tatsächlich katholischer Priester geworden ist, das erste Mal wieder in seine Geburtsstadt, um sowohl seine Kindheitserinnerungen auffrischen zu lassen als auch vor allem an den Gräbern einiger seiner früheren Seelsorger zu beten, die zu ihren Lebzeiten geradezu Heroisches unter widrigsten Lebensumständen der Glaubens- und Kirchenverfolgung für ihre Gläubigen in der Diaspora getan hatten. Mit diesem Gebet wollte er ihnen ausdrücklich auch seine eigene tiefe Dankbarkeit zum Ausdruck bringen!
Die Hauptperson unseres Berichts hier traf dann während seiner Reise bei einer Kirche, in welcher sich das Grab seines Taufpriesters befindet, eine weibliche Person, die ihn von früher her erkannte und ihm dann die (sich als sehr wichtig erweisende) Frage stellte, ob er denn nicht (wieder) zurückkommen wollte in seine Geburtsstadt (in jenem nun nicht mehr kommunistisch-atheistischen Staat), um nun da als Priester zu wirken. Nachdenklich geworden antwortete er dann der betreffenden Frau mit der Erzählung von seiner damaligen „Abmachung“ mit der Muttergottes und schloss mit dem Satz ab, er verstehe die daraufhin erfolgte Ausreisegenehmigung nach Deutschland so, dass die Muttergottes ihn offensichtlich da haben wollte, wo er heute ist!
In diesem Zusammenhang wurde ihm dann auch schlagartig bewusst, dass ihm mit der Ausreise nach Deutschland zugleich auch die Möglichkeit gegeben wurde, die Irrtümer des kirchlichen Modernismus zu erkennen und zur heiligen Tradition der von Jesus Christus gestifteten Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche zu kommen. Zwar wurde er selbst noch nach dem überlieferten Ritus getauft und gefirmt. In seiner Teenagerzeit hatte dann aber ein Jesuitenpater aus Litauen mit der Einführung modernistischer liturgischer „Reformen“ angefangen. Da diese damals aber noch langsam und eben nicht im vollen Umfang und somit „radikal“ umgesetzt wurden, erkannte der junge Mann erst in Deutschland das ganze verderbliche Ausmaß der betreffenden „Neuerungen“!
Somit ist er nun der Muttergottes gerade dafür äußerst dankbar, dass mit der seinem Empfinden nach sicher unter ihrer gnadenhaften Vermittlung erfolgten Ausreise nach Deutschland ihm der Weg zur Feier der überlieferten Liturgie der katholischen Kirche menschlich gesprochen ermöglicht wurde, was er so wohl nicht erfahren hätte, wäre er im Land der kommunistischen Verbannung seiner Eltern geblieben. Denn viele seiner früheren Kollegen als Ministranten sind in der Zwischenzeit „Priester“ und sogar auch „Bischöfe“ der „Konzilskirche“ geworden und teilen auch weitestgehend das modernistische Gedankengut. Früher einmal ihre Zelebration bei einer Gelegenheit beobachtend, dankte dieser Priester Gott ausdrücklich dafür, dass er nicht im betreffenden „Saftladen gelandet“ sei.
Nun ist er der Muttergottes zutiefst dankbar – trotz aller finanzieller Nachteile, persönlicher Ausgrenzungen und böser Kommentare an die Adresse der unbedingt an der Tradition der Kirche festhaltenden Priester (und Gläubigen) –, dass sie ihn damals, wie er es auffasst, wie ein kleines Kind an der Hand genommen und gewissermaßen zur wahren Kirche (zurück)geführt hatte! Jetzt feiert er auch das überlieferte Heilige Messopfer in diesem entsprechend gewachsenen Bewusstsein der Dankbarkeit für das wunderbar-gnadenhafte Eingreifen des Himmels in sein bescheidenes Leben!
■ Wenn wir unsere Gebete in wichtigen Anliegen verrichten, wünschen wir uns und den anderen ja nur Gutes und Wahres. Wir bringen diese Anliegen vor Gott und bitten demütigst um die Gewährung der betreffenden Gnade. Dennoch formulieren und interpretieren wir die erhoffte Hilfe ja nach unserer begrenzten menschlichen Art – wie wir, Menschen, es eben sehen.
Deswegen sind wir dann auch etwas enttäuscht, wenn es nicht so kommt, wie wir es erwarten. Wir meinen, unser Gebet sei nicht erhört worden, weil es ja nicht so komme, wie von uns gedacht. In diesem Zusammenhang spielt oft auch der Faktor der Zeit eine große Rolle – es kann uns nicht schnell genug gehen mit dem persönlichen Erleben der konkret erflehten Hilfeleistung Gottes.
Wenn auch unsere unserem Beten zugrundeliegenden Intentionen durchaus fromm und gottwohlgefällig sein sollten, dürfen wir doch nicht vergessen, dass wir, Menschen, keinesfalls den Überblick über die gesamte uns betreffende Realität haben (können), weswegen wir dann auch verstehen müssen, dass Gott allein wissen kann, was uns entweder im jeweiligen Augenblick oder in Bezug auf eine längere Zeitperiode besser und nützlicher ist.
Ebenso verweisen geistliche Lehrer darauf, dass von Gott primär bzw. am ehesten die Gebete Erhörung finden, welche vom Menschen in der Gesinnung der ganzheitlichen Hingabe an Ihn und Seine Vorsehung verrichtet werden! Oft äußern wir im Gebet ein Anliegen und denken uns dabei, dass wir die Erhörung unseres Gebetes nur dann werden feststellen können, wenn die Hilfe so eintritt, wie von uns erhofft und somit in Entsprechung zu unserer eigenen Vorstellung. Dass Gott es zu unserem Besten anders und manchmal auch ganz anders fügen kann, kommt uns meistens nicht in den Sinn.
Somit ist es enorm wichtig, dass wir immer auch ein möglichst ganzheitliches Ja zu Gott sprechen und es eben Ihm überlassen zu entscheiden bzw. zu wählen, welcher Art Seine entsprechende Hilfe sein soll. Wie ja auch Jesus im Garten Getsemani in Seiner menschlichen Natur gebetet hat: „Doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst“. (Mt 26, 39.)
Die Menschen, die bei ihren Gebeten weniger auf der eigenen Vorstellung von Gebetserhörung und Hilfe bestehen, sondern es mehr Gott überlassen, wann und auf welche Weise ihnen geholfen werde, befreien sich verstärkt vom irdischen Denken und somit den menschlichen „Verunreinigungen“ in ihrer Glaubensbeziehung zu Gott als dem höchsten und liebenswürdigsten Gut. Auf diese Weise bereiten sie ihren Geist umso mehr für eine klarere und reinere Sicht der Realität Gottes und dürfen als Folge daraus auch wesentlich intensiver und beseligender die Erfahrung der unendlichen Liebe und Barmherzigkeit unseres göttlichen Erlösers Jesus Christus machen!
In diesem geistigen Prozess der restlosen Hingabe an den sich an sich erbarmen wollenden Gott nähern sie sich dem beseligenden Stadium, in welchem ihnen allein schon ihr uneingeschränktes Ja – auch und gerade in zentralen und essentiellen Lebensfragen – so viel Frieden der Seele und Ruhe des Herzens vermittelt, dass sie dann auch in dem Fall niemals wirklich an Gott zweifeln, wenn ihre konkreten Gebetsanliegen anscheinend nicht auf die von ihnen erhoffte Art und Weise erhört würden. Denn sie sind auch da zutiefst überzeugt, dass kein Gebet vergebens ist und von Gott entsprechend registriert wird!
Hat denn nicht schon so mancher ernsthaft Erkrankte mit seinem Schicksal gerungen und ob der ganzen an sich verständlichen Sorgen um die eigene Gesundheit und das eigene Leben doch den inneren Frieden verloren. Und erst dann, wenn er sich im Gebet zu einem ganzheitlichen und vertrauensvollen Ja zu Gott als der uneingeschränkten Einwilligung in die göttliche Vorsehung (ob er nun geheilt werde, krank bleibe oder eventuell auch nicht mehr lange lebe) durchgerungen hatte, legten sich doch die gewaltigen Stürme in seiner Seele zunehmend.
Und wie hart ist es für uns, Menschen, uns mit so manchem vielleicht sogar ganz großen Unrecht abzufinden! Ob dessen sind wir dann innerlich richtig aufgewühlt und es tobt emotional ein richtiger Orkan in uns, der uns dann als Folge auch in so manchen Nächten den Schlaf raubt. Es braucht dann enorm viel Gottvertrauen bzw. Gebet für einen solchen Menschen. Wenn er sich dann aber im geistlichen Kampf zu dem Standpunkt durchringen sollte, dass er die betreffende Causa voll und ganz in die Hände Gottes lege, was mit ihm nun geschehen solle und ob er nach außen hin Recht erfahre oder nicht, und dabei inständig um die Führung Gottes bittet, kommt in ihm mitunter sogar auch eine echte Freude auf, dass er wie die Apostel „für würdig befunden waren, um des Namens Jesu willen Schmach zu leiden“. (Apg 5,41.)
Man fährt dann selbstverständlich fort, sich sowohl um die eigene Gesundheit und den Lebenserhalt zu kümmern als auch mit allen legitimen Mitteln um Gerechtigkeit und den eigenen guten Ruf zu kämpfen. Aber man ist dann doch nicht mehr innerlich aufgewühlt und geistig wie orientierungslos, sondern hat seinen geistigen Lebenskompass auf Gott als den höchsten sittlichen (und von Menschen nicht manipulierbaren!) Wert ausgerichtet, der allein dem Menschen Halt, Trost und Orientierung geben kann! Dann kehren in sein Herz und seine Seele trotz mancher äußeren und um ihn herum tobenden Stürme dennoch Ruhe und Frieden ein, und er ist zutiefst überzeugt, dass die Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes ewig bestehen und allen menschlichen Bosheiten trotzen! Dann wird er begnadet, an einer solchen geistig-intensiven Welt teilzunehmen, die einem Menschen ohne dieses Sprechen des betreffenden ganzheitlichen Ja meistens verborgen bleibt.
Allein das schon erfährt ein solcher Jünger Christi wie ein Wunder. Er empfindet es als unverdiente Gnade, geistig in dieser höheren geistigen Realität zu leben, und macht seine Glaubenshaltung Gott gegenüber nicht im Geringsten mehr von der Frage abhängig, ob seine konkreten Gebetsbitten auf eine solche Art und Weise Erhörung finden, wie er es sich sonst vorstellt, oder eben nicht bzw. ganz anders. In jedem Fall weiß er, dass Gott der Lenker der menschlichen Herzen und der Weltgeschichte ist, und unsere Verehrung letzten Endes nur in der glaubenden, hoffenden und liebenden Hingabe an Ihn bestehen kann!
■ Die Muttergottes stand ja auch einmal vor einer wichtigen Entscheidung, ob sie nämlich dem Ruf und Willen Gottes stattgäbe bzw. ihm ganzheitlich und bedingungslos zustimmte, und so die Mutter des Erlösers Jesus Christus würde, oder ob sie doch auch ihre menschlichen „Bedingungen“ in den Vordergrund stellte. Mit ihrer klaren Antwort an den Erzengel Gabriel: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach seinem Wort“ (Lk 1,38), vollzog sie ihre ganzheitliche Hingabe an Gott, ohne eben in menschlicher Hinsicht für sich etwas eigensüchtig zurückzubehalten und zu „reservieren“.
Sie wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, was genau sie als Mutter des Erlösers in der Zukunft erwartet, worauf konkret sie sich einzustellen habe. Sicher kannte sie aus der Heiligen Schrift die Berichte über den Leidenden Messias (Isaias 53), aber noch nicht genau, in welchem Umfang es sich an Ihm bewahrheitet, was der greise Simeon bei der Darstellung des Knaben Jesus im Tempel zu Maria weissagte: „Siehe, dieser ist bestimmt zum Fall und zur Auferstehung vieler in Israel und zum Zeichen des Widerspruchs. – Auch deine Seele wird ein Schwert durchdringen. – So sollen die Gedanken vieler Herzen offenbar werden.“ (Lk 2,34f.)
Die hl. Jungfrau blieb ihrem Wort treu und begleitete dann später ihren göttlichen Sohn nicht nur äußerlich-physisch während Seiner Leiden und dem Sterben am Kreuz, sondern stand Ihm insbesondere durch die ihr ganzes Leben andauernde Ganzhingabe an ihren Schöpfer und Erlöser zur Seite. Ja, sie war wirklich eine Schmerzensmutter und ihr Herz durchdrang ein geistiges Schwert der Leiden, welche sie in tiefster Herzensgemeinschaft darbrachte – sowohl v.a. mit Ihm, aber dann auch für Seine Peiniger mitempfindend.
Besonders durch den Umstand, dass sie dann der Obhut des Apostels Johannes anvertraut und so nicht nur zu seiner geistigen Mutter wurde, sondern auch zu der aller frommen Christgläubigen, will sie auch uns mütterlich an der Hand nehmen, uns Vertrauen zu einer Ganzhingabe an Ihn einflößen und gegebenenfalls auch auf dem Weg zu unserem lebensmäßigen Golgota-Berg hinauf führen. Wer sich ihr dann anvertraut und demütig um ihre Führung bittet, der wird wohl ebenfalls auf eine solche wundersame Weise die Wirkung der göttlichen Gnade erfahren (dürfen), wie sie jener junge Mann erlebte, von dem weiter oben die Rede war!

P. Eugen Rissling

 

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